Bosna Quilts

Bosna Quilts sind Kinder des Kriegs

27.08.2022

In einem Flüchtlingsheim fängt alles an. Gedacht als Beschäftigungsprojekt für ein paar Monate wird daraus eine Werkstatt, die mittlerweile über 2.000 Quilts geschaffen hat. So farbig, so kunstvoll, so freundlich Bosna Quilts auch sind – es sind Kinder des Kriegs. Und so paradox es sich anhört: Ohne das Elend der Flucht vor einem Krieg gäbe es die Bosna Quilt Werkstatt nicht.

Eingang zum Flüchtlingsheim Galina in Frastanz, in der Nähe von Feldkirch | Foto Nikolaus Walter

In Bosnien herrscht Krieg. Gegen 90.000 Kriegsvertriebene suchen Schutz in Österreich. Stellen Sie sich das heute vor! Die unerträglichen Rufe der Rechtspopulisten nach Mauern und Zäunen! Aber es ist nicht 2021, es ist 1993. Einige der Vertriebenen finden eine vorläufige Bleibe im Flüchtlingsheim Galina, einer einstigen Kaserne in der Nähe von Feldkirch. Dort harren sie aus, in ihrer Ungewissheit über das Schicksal der Daheimgebliebenen und zur Untätigkeit gezwungen.

Eine Psychotherapeutin hat die Idee, vorarlbergische Künstlerinnen mit den bosnischen Flüchtlingsfrauen zusammenzubringen, um diese auf eine sinnvolle Art zu beschäftigen. Lucia Lienhard-Giesinger gefällt das Vorhaben, und sie macht mit. Lucia ist von Haus aus Malerin. Aber sie beschließt mehr zufällig, mit den bosnischen Frauen Quilts zu nähen. Mit einer Tasche voller Stoffe und ein paar Entwurfsskizzen fährt Lucia ins Heim und hofft, dass ein paar Frauen Lust haben, in ihrer Gruppe mitzumachen. Das ist so. Eine der Frauen – es ist die heutige Leiterin der Bosna Quilt Werkstatt in Bosnien – gibt Lucia mit Handzeichen zu verstehen: Auf mich kannst du zählen!

Safira Hošo hat gerade einen Quilt in Arbeit. Im Hintergrund ihr Mann Omer und ihre beiden Söhne Damir und Vedan. | Foto Nikolaus Walter

Lucia möchte nun zusammen mit den Frauen einen Entwurf mit den Stoffen machen. Aber kaum liegt einer halbwegs realisierbar auf dem Tisch, hat ihn Safira schon unter der Nähmaschine und näht die Stoffteile zusammen. Darum entscheidet Lucia, die Entwürfe künftig zuhause zu machen. Nicht auf Papier, sondern direkt mit den Stoffen.

Beim ersten Kontakt Lucias mit den bosnischen Frauen notieren diese auf ein Blatt Papier ein paar Begriffe auf Bosnisch, die für die Verständigung vielleicht helfen können. «Dopada li ti se?», steht da zum Beispiel, «Gefällt es dir?». Dass da von Anfang an eben nicht nur «Guten Tag», «Gute Nacht», «Danke» und «Bitte» steht, sondern die so grundsätzliche Frage nach dem Gefallen, ist vielleicht einer der Schlüssel für die gänzlich ungeplante und ebenso unerwartete Langlebigkeit des Projekts über so viele Grenzen hinweg.

In der Garagenwerkstatt wird nicht nur gearbeitet. Sie ist auch ein Treffpunkt, wo man Kaffee trinkt. | Foto Nikolaus Walter

So entstehen in einer ehemaligen Garage auf einem Biertisch die ersten Quilts. Lucia kann zwar mit Farben umgehen, aber sie hat noch nie in ihrem Leben einen Quilt gemacht. Und die Bosnierinnen, die können natürlich nähen, aber noch nie in ihrem Leben haben sie einen Quilt gesteppt. Ein Glück! Ohne das Wissen um die verschiedenen Quilt-Traditionen in aller Welt, ohne die Kenntnis von Entwurfsprinzipien und Stichlängen, haben Lucia und ihre Frauen den Quilt «neu erfunden».

Vesna Malokas mit ihrem Sohn Ado | Foto Nikolaus Walter

Es gibt in der Kaserne noch andere Gruppen, die zum Beispiel knüpfen, sticken oder weben. Die Quilterinnen schätzen es, dass sie die Quilts auch mit in ihr Zimmer nehmen können. Sich in eine schöne Arbeit zu vertiefen, gibt in der Enge des Heims ein bisschen Privatsphäre und ein bisschen innere Ruhe.

Bosna Quilts aus den ersten Jahren

Bald liegt eine schöne Auswahl von Quilts fertig in der Garage und verlangt eigentlich danach, einem Publikum gezeigt zu werden. Eine Ausstellung? Ja! Die erste aller Quilt-Ausstellungen dieser Werkstatt findet in den Räumen der Arbeiterkammer in Feldkirch statt. Und als man an die Einladungskarte geht, stellt sich die Frage, wie die Gruppe heissen soll. Es muss schnell ein Name her. Warum nicht «Bosna Quilt Werkstatt»? Ja, so soll sie heißen!

Und auf dieser allerersten Ausstellungs-Einladung findet sich auch ein Zitat, das die Werkstatt über all die weiteren Jahre begleiten wird. Es ist von Erich Fried:

Wenn die Nacht
keine Tür hätte
woher käme
der Tag

Die allererste Bosna Quilt Ausstellung in der Arbeiterkammer in Feldkirch | Foto: Nikolaus Walter

Ende 1995 ist der Krieg endlich vorbei. In Dayton wird ein labiler Friede geschlossen. 1997 kann oder muss in großer Teil der Flüchtlinge in ihre zerstörte Heimat zurückkehren. Einige können in Österreich bleiben. Das ist auch das Ende der Bosna Quilt Werkstatt, denken alle.

Außer Safira. Schon früh hat sie bei einem Kaffee in der Garagenwerkstatt zu Lucia einmal gesagt: «Wenn wir wieder zuhause sind, musst du das mit uns weitermachen!» Natürlich hat niemand daran geglaubt, dass das einmal wahr werden könnte. Auch Safira nicht. Aber es wurde wahr.

> Lesen Sie hier, wie es weitergegangen ist.

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Bosna Quilts

Text: Lucia Lienhard-Giesinger, Daniel Lienhard, Laurenz Feinig.
Gestaltung: Grafische Praxis, Feldkirch, Development: weitweit.com
Fotografie: Daniel Lienhard, wo nicht anders angegeben